Arbeitsplatz-Ausstattung 

Helfer für das Homeoffice

Die Wirtschaft richtet sich auf eine dauerhaft hybride Berufswelt ein.
Start-ups erobern ein neues Geschäftsfeld – und liefern ergonomische
Möbel und Planungssoftware in die privaten Arbeitszimmer.

Stefan Merx Köln, 

Die Hassliebe der Deutschen zum Homeoffice brachte Katharina Hamma auf eine Idee. „Der Trend ist unumkehrbar, alle definieren gerade ihren optimalen Arbeitsmix – doch die Möbel am Heimarbeitsplatz spotten oft noch jeder Beschreibung“, sagt die Kölnerin. „Hier rollt ein gewaltiges Thema auf die Arbeitgeber zu.“ Der Küchentisch mit Funzelleuchte könnte zum teuren Bumerang des New Work werden – über erhöhte Krankenstände. 

So entdeckte Hamma mit 55 Jahren ihr Gründerinnen-Gen. Neun Jahre hatte sie die Geschäfte der Koelnmesse geführt. Seit Jahresbeginn betreibt sie myHomice, eine Handelsplattform für ergonomische Möbel für den Heimarbeitsplatz. „Als ich sah, dass erste namhafte Hersteller anfingen, ihre Stühle im Einstiegssegment bei Amazon zu verkaufen, wurde mir der Bedarf klar. Und Branchenkontakte zu Herstellern und Händlern habe ich ja alle“, sagt Hamma. Leitmessen der Möbelbranche wie die IMM, Interzum oder Orgatec fielen in ihren Beritt.

Mit einem Gutscheinsystem will Hamma Firmen ermöglichen, ihren dezentral arbeitenden Kräften einen anständigen Heimarbeitsplatz einzurichten. myHomice listet nur solche Möbel, Schallschutzlösungen und Lampen, die den Arbeitsschutzverordnungen entsprechen. Ein Ergonomieindex, angelehnt an Kriterien der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, kategorisiert alles in minimal, funktional oder optimal. Gut 20 Anbieter wie Living Chairs, Standsome oder Leuwico listen bereits rund 1.000 Produkte. 

58 Prozent der Beschäftigten wollen, dass ihre Firma beim Möblieren des Heimarbeitsplatzes hilft. 

Quelle: Industrieverb. Büro und Arbeitswelt 

Die coronabedingte Homeoffice- Pflicht ist seit dem 20. März Geschichte. Doch klar geregelt ist damit nichts – im Gegenteil. Erste Urteile zeigen, dass auch das Stolpern auf dem Weg zur heimischen Kaffeemaschine als Arbeitsunfall gilt. Gesetzlich allerdings ist Homeoffice „eine große Grauzone“, sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei Verdi. Er fordert: „Wenn Beschäftigte einen großen Teil ihrer Arbeitszeit zu Hause verbringen, ist es absolut notwendig, dass der Arbeitgeber die entsprechende Ausstattung zahlt.“ 

Dass sich Firmen durch Dezentralisieren von Arbeit kostenmäßig entlasten, wolle Verdi in kommenden Tarifrunden verhindern. Reuter sieht aber die Schwierigkeit, jeden Fall klar zu definieren. „Mitunter fehlt der Platz in den vier Wänden, um einen ergonomischen Arbeitsplatz einzurichten. Dies macht tarifliche Regelungen zur mobilen Arbeit und vor allem zum Homeoffice nicht einfach, will man Beschäftigte nicht ausschließen.“ Derzeit arbeite man an einer Betriebsvereinbarung für die eigene Verdi-Belegschaft. 

Teure Rückenleiden 


„Arbeitgeber stehen schon aus purem Eigennutz in der Pflicht, gesunde Verhältnisse auch im Homeoffice anzubieten“, sagt Hamma. „Im Schnitt zieht ein Rückenleiden 21 Arbeitstage Ausfall nach sich.“ Die DAK-Krankenstandsanalyse bestätigt die Dringlichkeit. Mehr als jeder fünfte Fehltag war im Pandemiejahr 2020 auf Probleme mit dem Muskel-Skelett-System zurückzuführen, Rückenschmerzen stiegen um acht Prozent und verursachten 93 Fehltage je 100 Versicherte. 

Die neue Flexibilisierung der Arbeitswelt schafft Raum für flankierende Geschäftsideen. In München hat sich die Architektin Niao Wu lange für BMW mit dem Thema gesunde Arbeitswelten auseinandergesetzt – und sich 2021 selbstständig gemacht. „Homeoffice-as-a-Service“ verspricht sie mit ihrem Start-up Onyo. Auch ihr geht es um die ergonomische Gestaltung des Heimarbeitsplatzes. Anders als Hamma plant sie nicht den Verkauf, sondern setzt auf ein nutzungsbezogenes Abomodell, um Beschäftigten gute Lampen, Tische und Stühle über den Arbeitgeber zu finanzieren. „Wir starten mit einem Check-up, ob die jeweilige Wohnung überhaupt geeignet ist.“ Neben einer digitalen Befragung gibt es auf Wunsch auch eine virtuelle Begehung – mit Gefährdungsbeurteilung und Tipps, wie und wo Arbeitsmöbel sinnvoll platziert werden können. „Viele wissen etwa nicht, dass ein Schreibtisch frontal vor dem Fenster nicht gut ist“, sagt Wu, die bereits für BMW in Schanghai das Innovationszentrum und Design Studio mit geplant hat. 

Verleast werden nur hochwertige, nachhaltig hergestellte Möbelstücke, etwa von Girsberger, Aeris oder Dauphin. Erste Kunden habe sie im Startup- Umfeld gewonnen, eine Unternehmensberatung lasse gerade 200 Arbeitsplätze planen. Unternehmen hätten mit dem Onyo-Modell mehrere Vorteile. „Man wird als Arbeitgeber seiner Verantwortung gerecht, hat aber
mit Logistik, Versicherung und Aufbau nichts zu tun.“ Vor allem lasse man den Mitarbeitern die Freiheit, die Einrichtung nach eigenen Bedürfnissen und eigenem Geschmack auszusuchen. 

Potenzial für Arbeitgeber 


Dieser Wohlfühlfaktor sei für die Mitarbeiterzufriedenheit nicht zu unterschätzen, heißt es beim Industrieverband Büro und Arbeitswelt (IBA). „Die Homeoffice-Ausstattung als Chance für Arbeitgeberattraktivität wird bisher wenig genutzt“, sagt der IBA-Vorsitzende Helmut Link. In einer Civey-Befragung im September gaben zwar 58 Prozent der für die Arbeitsplatzgestaltungzuständigen Entscheider an, dass ihre Mitarbeiter Unterstützung bei der Möblierung der Homeoffice-Arbeitsplätze gebraucht hätten. Tatsächlich aktiv wurde aber weniger als ein Drittel. Neun Prozent der Befragten kauften neue Möbel, ebenfalls neun Prozent stellten vorhandenes Mobiliar leihweise zur Verfügung und knapp elf Prozent leisteten einen Zuschuss. 

Leasing- und Mietmodelle lagen erst bei 0,4 Prozent – doch Niao Wu will das ändern. Als Durchschnittswert eines geleasten Onyo-Arbeitsplatzes gibt sie 1.000 bis 1.500 Euro an. Der Kunde zahle monatlich drei Prozent des Objektwerts, das Leasing sei auf 36 Monate ausgelegt. „Drei Jahre sind ja auch eine übliche Zeit für Jobhopper“, sagt sie. Nach Laufzeitende unterbreite Onyo den Mitarbeitern ein „attraktives Angebot“, um die hochwertigen Teile zu übernehmen. Derzeit liege die Offerte bei zehn Prozent des Bestellwerts. 

Katharina Hamma von myHomice rät Firmen dazu, das Mobiliar sofort in das Eigentum der Angestellten übergehen zu lassen, um es auch buchhalterisch klar abzugrenzen. „Sonst hätte man ein riesiges dezentrales Betriebsvermögen, das auch einer Inventur unterzogen werden muss“, sagt sie. 

Niao Wu hält Leasing für ideal. „Der Arbeitgeber zahlt die Rate wie eine Miete und kann diese sofort als Betriebskosten aktivieren.“ Wu legte nach einem Acceleratorprogramm bei BMW noch eine Station als Beraterin bei der Boston  Consulting Group ein, ehe sie auf Gründungskurs ging. Ihr Co-Gründer Jens Wöhrle ist Software-Experte, MBA Absolvent und Ex-Banker. 

Auch Chris Bieri hat die Coronakrise genutzt, um mit seiner Geschäftsidee zu landen. Er bietet als Co-Gründer des Münchener Start-ups Seatti eine Software-Lösung an, mit der sich Büroauslastungen flexibel steuern lassen, um das hybride Arbeitsmodell zu erleichtern. Schon im Jahr 2018, während seiner Tätigkeit für Tesla in Amsterdam, spürte der Deutsch-Amerikaner: „Das praktizierte Desk-Sharing ist ja modern, aber mit einem Tool müsste es viel leichter gehen.“ 

Gesagt, getan. Die Office-Management- Software von Seatti wird unter anderem von Osram, Sartorius und Sixt genutzt, auch zwei Pharmakonzerne vertrauen laut Bieri auf die Dienste des zehnköpfigen Start-ups. „Hybrides Arbeiten wird zum neuen Standard“, sagt er. „Betriebsräte sind immer häufiger einverstanden, dass Desk-Sharing eingeführt wird, aber bestehen oft auf einer begleitenden Software, um Chaos zu verhindern.“ 

Es gebe klassische Horrorszenarien der multilokalen Arbeitsorganisation, sagt Bieri. „Man kommt ins Büro und kein Platz ist frei. Oder man kann gleich wieder umkehren, weil kein relevanter Kollege da ist.“ Mithilfe der Seatti-Software lassen sich Arbeitsplätze, Meetingräume und Parkplätze buchen. Dashboards zeigen transparent, wer gerade wo an welchem Projekt arbeitet. „Auch wer im Homeoffice oder auf Geschäftsreise ist, kann bis auf Stadtteilebene zeigen, wo man ist und zum Beispiel Bereitschaft für einen Kaffee signalisieren.“ Die soziale Komponente sei nicht zu unterschätzen. „Auch ich habe meine Freundin im Büro kennengelernt“, sagt Bieri.


Dieser Artikel ist am 22. März 2022 im Handelsblatt erschienen